Kernschmelze

Als Kernschmelze bezeichnet man einen schweren Unfall in einem Kernreaktor, bei dem sich die Brennstäbe im Reaktorkern übermäßig erhitzen, schmelzen und gegebenenfalls ineinanderlaufen.

Eine Kernschmelze kann auftreten, wenn Reaktorkühlung und sämtliche Sicherungssysteme ausfallen. Bei einem solchen Unfall kann hochradioaktives Material unkontrolliert aus dem Reaktor in die Umgebung gelangen und Mensch und Umwelt gefährden.

Ablauf einer Kernschmelze

Druckwasserreaktoren und Siedewasserreaktoren werden bei fehlendem Kühlwasser unterkritisch, das heißt die Kettenreaktion und damit die Erzeugung von „Spaltleistung“ hören auf. Jedoch kann bei Ausfall jeder Kühlung die Nachzerfallswärme die Brennstäbe so weit erhitzen, dass ihre Hüllrohre und auch der darin eingeschlossene Kernbrennstoff schmelzen und am Boden des Reaktorbehälters zusammenlaufen.

Im Endstadium könnte der geschmolzene Kern sich schlimmstenfalls durch den Reaktorbehälter und sämtliche Gebäudehüllen fressen, das Grundwasser erreichen und somit große Mengen radioaktiver Stoffe freisetzen. Kurzfristig noch gefährlicher für die Bevölkerung ist eine oberirdische Freisetzung durch ein Gebäudeleck, so wie bei der Katastrophe von Tschernobyl, bei der durch eine Explosion ein Gebäudeleck entstand.

Wird der Reaktor trotz fehlendem Kühlmittel nicht unterkritisch – dies ist grundsätzlich möglich bei Reaktoren, bei welchen unter anderem der Dampfblasenkoeffizient nicht in jedem Betriebszustand negativ ist, wie beispielsweise natriumgekühlten Brutreaktoren – kann auch die weiter laufende Leistungserzeugung durch die Kettenreaktion im Extremfall zum Kernschmelzen führen.

Folgen

Eine besonders schwerwiegende Variante des Unfallablaufs ist die Hochdruckkernschmelze, wenn es nicht gelingt, in der ersten Zeit den Druck im Reaktor stark abzusenken. Es wäre dann möglich, dass die glühend heiße Schmelze des Reaktorkerns die Wand des Reaktorbehälters stark schwächt und unter gleichzeitigem, auch explosionsartigem Druckanstieg, zum Beispiel durch eine Knallgasexplosion oder schnelle Verdampfung des Wassers (physikalische Explosion) aus dem Reaktorbehälter entweicht. Der hohe erzeugte Druck im Containment könnte zu Leckagen führen, was radioaktives Material freisetzt. Entsprechende Szenarien wurden 1989 in der „Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke Phase B“ veröffentlicht und führten zu umfassenden Diskussionen (siehe Artikel Kernkraftwerk). Um solche Risiken zu mindern, wurde nach dem Super-GAU in Tschernobyl in Deutschland das sogenannte Wallmann-Ventil vorgeschrieben.

Die anderen Folgen der Kernschmelze, wie Dampf- und Wasserstoffexplosionen, gehen typischerweise mit einer Kernschmelze einher, setzen sie aber nicht voraus.

Vermeidung von Kernschmelzen

Bei neueren Reaktorkonstruktionen sollen spezielle Vorrichtungen (Core-Catcher) den Reaktorkern bei einer Kernschmelze auffangen und die Freisetzung des Spaltstoffinventars verhindern.

Aufgrund der verheerenden potenziellen Folgen einer Kernschmelze wird mittlerweile, vor allem im asiatischen Raum, erfolgreich der Betrieb inhärent sicherer Reaktoren, speziell von dezentralen PBMR mit reduzierter Leistung, erprobt. Für sämtliche derzeit in Europa betriebenen kommerziellen Kernreaktoren allerdings gilt, dass das Risiko einer Kernschmelze durch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zwar signifikant verringert, aber nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann.

Bekannte Kernschmelz-Unfälle

Am 26. April 1986 ereignete sich im Block 4 (graphitmoderierter Druckröhrenreaktor) des Kraftwerks von Tschernobyl ein katastrophaler Reaktorunfall. Nach einer Knallgasexplosion innerhalb des Reaktorkerns und nachfolgendem Brand des Graphits wurde eine große Menge radioaktiver Stoffe freigesetzt. Diese Katastrophe ist (nach der Havarie von Majak 1957) als der zweitschwerste nukleare Unfall der Geschichte bekannt.

Auch Reaktoren „westlicher“ Bauweise waren bereits von Kernschmelzunfällen betroffen:

  • Am 28. März 1979 fiel im 880-MWe-Kernkraftwerk auf Three Mile Island bei Harrisburg (Pennsylvania) im nichtnuklearen Teil eine Pumpe aus. Da das Versagen des Notkühlsystems nicht rechtzeitig bemerkt wurde, war einige Stunden später der Reaktor nicht mehr steuerbar. Eine Explosion konnte durch Ablassen des freigesetzten radioaktiven Dampfes in die Umgebung verhindert werden. Untersuchungen des Reaktorkerns, die unfallbedingt erst drei Jahre nach dem Unfall möglich waren, zeigten eine Kernschmelze, die allerdings noch vor dem Durchschmelzen des Reaktordruckbehälters zum Stehen gekommen war.
  • In der Schweiz kam es 1969 bei dem kleinen experimentellen Reaktor Lucens (8 MWe) zu einem schwerwiegenden Unfall. Ein durch Korrosion bedingter Ausfall der Kühlung führte zur Kernschmelze und zum Brennelementebrand mit anschließender Freisetzung aus dem Reaktortank. Die Radioaktivität blieb im Wesentlichen auf die Kaverne und das umliegende Stollensystem beschränkt. Die Aufräumarbeiten im versiegelten Stollen dauerten bis 1973 beziehungsweise 2003, als noch die Abfallbehälter vom Standort entfernt wurden.
  • 1977 schmolzen im slowakischen Kernkraftwerk Bohunice A1 (150 MWe) wegen Fehlern beim Beladen einige Brennelemente. Die Reaktorhalle wurde radioaktiv kontaminiert. Der Reaktor ist heute nicht mehr in Betrieb. Ein fast gleicher Vorfall ereignete sich 1980 im französischen Meiler Saint-Laurent A1 (450 MWe). Dieses ebenfalls stillgelegte Werk ist nicht zu verwechseln mit den heute dort betriebenen Druckwasserreaktoren.

Aktuell: Reaktor Fukushima nach dem Zunami in Japan

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